Sportschießen - sinnvoller Ausgleich oder zusätzliche psychische Belastung?

Das Sportschießen ist in den neuen Bundesländern noch nicht so verbreitet wie in den alten.
Zählen die Mitglieder z.B. in Niedersachsen nach Hunderttausenden, so sind es in Sachsen gerade einmal rund 7.000 Mitglieder. Dabei sind die Vorbehalte gegen das Sportschießen sehr vielfältiger und unterschiedlich gewichtiger Art und bereiten den Funktionären so manches Kopfzerbrechen.

Der Präsident des Sächsischen Schützenbundes, Dr.sc. Hannes Kratzer, hat sich mit diesen Vorbehalten kritisch auseinandergesetzt und eine fundierte Argumentation entgegengesetzt, die auch für unsere Leser sicher von Interesse ist. Wir haben uns deshalb entschlossen, diesen Beitrag mit dem Einverständnis des Autors nachzudrucken.

Manche halten diese Frage vielleicht für überflüssig und verweisen auf die ständig im Steigen begriffene Zahl der Schießsportinteressierten in Sachsen. Erwachsene nahezu jeden Alters suchen und finden in den Schützenvereinen Ausgleich und Entspannung, unabhängig davon, ob sie in Beruf oder Alltag vorwiegend geistig oder körperlich beansprucht werden. Es ist aber auch nicht zu übersehen, dass der Zulauf von Kindern und Jugendlichen derzeit noch nicht zufrieden stellen kann. Übungsleiter und Trainer berichten immer wieder, dass Eltern oftmals gar nicht so begeistert sind, wenn sich ihr Kind dem Sportschießen zuwendet. Viele Eltern wissen zu wenig über unsere Sportart, was manche Vorbehalte verständlich machen. Andere versuchen, das Sportschießen in die Nähe militärischer Aktivitäten zu rücken oder betonen vermeintliche gesundheitsschädliche Aspekte. Ein aufstrebender und lebensfähiger Sportverband sind wir aber nur dann, wenn möglichst viele Kinder und Jugendliche in unseren Vereinen trainieren. Es ist deshalb wichtig, dass der Übungsleiter in der Lage ist, die unterschiedlichsten Vorbehalte zu entkräften und den persönlichkeitsbildenden Wert des Sportschießens überzeugend darzustellen. Als kleine Hilfestellung dafür soll nachfolgend auf einige der wichtigsten Einwände bzw. Vorbehalte eingegangen werden.

Vorbehalt 1:

"Schießen ist eine bewegungsarme Sportart und somit kein Ausgleich für psychische Belastungen in Schule und Beruf."

Manche Eltern sind der Meinung, dass es genügt, wenn ihre Kinder in der Schule stillsitzen und sich konzentrieren müssen. Schießtraining stellt die gleichen Anforderungen (statt stillsitzen eben nur stilliegen, -knien oder -stehen), demnach kann es kein Ausgleich sein, sondern führt nur zur Verstärkung ohnehin vorhandener Belastungswirkungen.

Den vorgetragenen Argumenten kann man natürlich zunächst mit einer Erläuterung der vielfältigen Trainingsmittel im Sportschießen begegnen, die gerade im Kinder- und Jugendalter auch auf die Entwicklung athletischer Leistungsvoraussetzungen gerichtet sind und neben Kraft- und Konditionstraining auch die verschiedensten Spielformen einschließen. Andererseits sollte man aber auch darauf verweisen, dass die psychische Beanspruchung beim Schießen eine völlig andere ist. Nicht nur die Motivation, auch die geforderte Konzentration unterscheidet sich von der in der Schule. Phasen höchster Konzentration (Vorbereitung des Schusses bis zur Schussabgabe) wechseln beständig mit solchen geringerer Konzentration (Pause, Laden der Waffe). Untersuchungen haben gezeigt, dass leichte Ermüdungen selbst während eines Spezialtrainings abgebaut werden können. Allerdings muss bemerkt werden, dass bei Vorliegen starker Ermüdungssymptome (Konzentrationsausfälle, nachlassen der Reaktion usw.) ein Techniktraining wenig sinnvoll ist, durchaus aber körperliche Leistungsvoraussetzungen (Kraft, Kondition) trainiert werden können.

Sportschießen stellt zwar hohe Anforderungen an geistige Leistungsvoraussetzungen, das ist aber immer gekoppelt mit einer nahezu perfekten Körperbeherrschung. Wie kaum eine andere Sportart ist ein harmonisches Zusammenwirken von Körper und Geist erforderlich. In diesem Sinne ist das Sportschießen selbstverständlich auch als Ausgleich für Schüler und Auszubildende anzusehen. Viele Schützen finden im Sport das, was ihnen im Beruf fehlt: Die Möglichkeit, selbständige Entscheidungen zu fällen; die ungeteilte Leistungsverantwortung; die Notwendigkeit, blitzschnell zu reagieren; die Forderung nach perfekter Körperbeherrschung; der Kontakt mit leichgesinnten; die Möglichkeit, in jeder Trainingseinheit Erfolgserlebnisse zu haben u. a. m.

Vorbehalt 2:

"Sportschießen ist nicht geeignet, für das spätere Leben wichtige psychische Eigenschaften zu entwickeln."

Die Mutter eines 14jährigen Schülers, selbst Lehrerin, äußerte sich folgendermaßen: "In anderen Sportarten (z.B. Laufen, Rudern, Schwimmen) werden Willenseigenschaften entwickelt, die für das spätere Leben nützlich sind. Schießen ist etwas für welche, die sich nicht anstrengen wollen." Diese für Schützen völlig unverständliche Meinung kommt immer wieder in den unterschiedlichsten Varianten vor.

Zunächst zu Frage, ob in den Ausdauerdisziplinen wirklich Willensqualitäten entwickelt werden, wenn ja, welche?

Umfangreiche Untersuchungen mit Sportlern unterschiedlichsten Alters und Leistungsniveaus haben gezeigt, dass der Wille "sich körperlich zu schinden" tatsächlich in o. g. Disziplinen entwickelt wird. Andererseits sind aber Schützen viel besser in der Lage, konzentrative Leistungen über einen längeren Zeitraum zu erbringen. So mancher Schütze, der bei einem Ausdauerlauf vorfristig aufgibt, zeigt erhebliche Willensqualitäten bei langandauernden geistigen Anforderungen. Das sollten auch jene Trainer bedenken, die glauben, mit Ausdauerläufen würden Willenseigenschaften entwickelt, die sich positiv auf das Sportschießen auswirken können.

Wesentlich bleibt für uns die Erkenntnis, dass durch das Schießen Willenseigenschaften gefördert werden, die heute Voraussetzung für die Erfüllung vieler Aufgaben in Schule und Beruf sind, denn nur selten werden hier körperliche Höchstleistungen verlangt, wohl aber geistige.

Und ganz nebenbei: Ein ehemaliger Kugelstoßer, der aufgrund einer Knieverletzung mit dem Sportschießen begann, meinte nach einiger Zeit: "Die Schinderei im Kopf, das ständige Wechselbad der Gefühle, machen mehr fertig als ein andauerndes Training im Kraftraum."

Vorbehalt 3:

"Schießen ist eine militante Sportart, erhöht die Aggressionsbereitschaft von Kindern und Jugendlichen."

Ein Vorurteil, welches in den neuen Bundesländern eng mit dem unseligen Erbe des GST verknüpft ist. Aber auch in der ehemaligen DDR hatte Sportschießen mit vormilitärischer Ausbildung nichts zu tun. Das ist heute nicht anders. Ein Sportschütze betrachtet seine Waffe als Sportgerät. Er bekämpft keine Gegner, sondern sieht seine Erfüllung darin, sich selbst so zu steuern und zu beherrschen, dass höchste Präzisionsleistungen vollbracht werden können. Im Deutschen Schützenbund werden keine Disziplinen geschossen, die diese Prinzipien verletzen. Ein Sportschütze richtet seine Waffe nicht auf andere Menschen, lernt er doch vom ersten Tag an, dass Erfolg in dieser schwierigen Disziplin Selbstbeherrschung und emotionale Stabilität erfordern und dass Wut und Aggressionen gegenüber Dingen oder Personen die Leistung nur beeinträchtigen.

Vorbehalt 4:

"Sportschießen erzieht zum Einzelgänger."

Dass es unter Sportschützen viele Individualisten gibt, ist sicher unbestritten. Aber trifft für diese Sportler der Begriff "Einzelgänger" wirklich zu? Wer heute unsere Kinder und Jugendlichen in den Vereinen erlebt, kann obige Meinung nicht teilen. Schießen erzieht zwar zur Selbständigkeit, da man als Einzelsportler alle Entscheidungen selbst treffen muss. Schießen braucht aber immer Gleichgesinnte, mit denen man sich messen kann, mit denen man gemeinsam trainieren und auch feiern kann. In Schützenvereinen werden viele Freundschaften geschlossen (auch unter so genannten Einzelgängern), nicht wenige halten ein ganzes Leben lag. Das "Wir-Gefühl" ist in den Schützenvereinen genauso ausgeprägt wie in anderen Sportgemeinschaften. Die Tatsache, dass der Sportschütze in erster Linie gegen sich selbst kämpft, ständig versucht, unangemessene Erregungszustände zu beherrschen und in Bewährungssituationen sein Leistungsvermögen umzusetzen, macht ihn sensibler auch für die Probleme anderer Sportler. Er wird nicht zum Einzelgänger, sondern entwickelt Verständnis für andere, die ebenso wie er versuchen, mit den eigenen Unzulänglichkeiten fertig zu werden.

Vorbehalt 5:

"Schießen ist gesundheitsgefährdend."

Erwähnt wird hier in erster Linie der Lärm, der zu entsprechenden Hörschäden führen soll. Trägt der Schütze aber konsequent von Anbeginn seiner schießsportlichen Karriere Gehörschutz, so kann davon ausgegangen werden, dass keinerlei Schäden entstehen. Wesentlich gefährdender ist hier das Hören lauter Musik (vor allem über Kopfhörer), welches nachweislich bei vielen Jugendlichen schon zu Gehörschäden geführt hat. Darüber hinaus existieren in unserer Umwelt eine Vielzahl von Lärmquellen, die wir über uns ergehen lassen, ohne Hörschutz zu tragen.

Einige Eltern befürchten aufgrund der speziellen Anschlaghaltung (besonders Gewehr stehend) Haltungsschäden bis hin zur Ausprägung chronischer Rückenbeschwerden. Diese Gefahr besteht immer dann, wenn die athletischen Voraussetzungen des Schützen ungenügend entwickelt sind. Bei Kindern und Jugendlichen ist deshalb die athletische Grundausbildung, die gezielte Stärkung der entsprechenden Muskelpartien (hierzu wird ein gesonderter Beitrag erscheinen), eine Aufgabe, die der Trainer nicht vernachlässigen darf. Natürlich wollen die Schützen lieber die Scheiben beschießen. Übungsleiter, die dem ständig nachgeben und die Athletikausbildung vernachlässigen, werden auf Dauer nicht erfolgreich sein und müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, gesundheitliche Schäden durch falsches Training zu begünstigen. Erfahrene Übungsleiter wissen genau, dass nur eine gründliche athletische Ausbildung der Kinder und Jugendlichen langfristig zu Erfolgen führt und gesundheitliche Beeinträchtigungen verhindert.

Sicher gibt es weitere Vorbehalte gegen das Sportschießen, doch keiner ist geeignet, den persönlichkeitsbildenden Wert unsere Sportart zu widerlegen. Die bisherigen Ausführungen unterstreichen, dass durch schießsportliches Training psychische Eigenschaften gefördert werden, die auch für die Bewältigung schulischer oder beruflicher Anforderungen von Bedeutung sind. Der hohe Wiederholungsgrad, die speziellen Anforderungen an geistige Prozesse sowie an Präzision, Dosierung und Abstimmung der Feinmotorik, verbunden mit einer exakten Leistungsrückmeldung, vermitteln dem Anfänger häufiger Erfolgserlebnisse, als dies bei manch anderen Sportarten der Fall ist. Das ist insbesondere für Schüler wichtig, die sonst nur wenig Beachtung (oder gar negative Reaktionen) bei sportlichen Aktivitäten erfahren. Die so gewonnene Anerkennung und Leistungsfähigkeit ist für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen von unschätzbarem Wert.

Es ist heute leider eine Tatsache, dass viele Kinder und Jugendliche Konzentrationsprobleme haben; die Gründe dafür sind vielfältig. Eine regelmäßige schießsportliche Betätigung könnte zu einem Abbau von Konzentrationsschwierigkeiten beitragen und somit auch einen positiven Einfluss auf die schulischen Leistungen ausüben. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Kinder, die regelmäßig am schießsportlichen Training teilnehmen, wesentlich besser konzentrieren können als andere. Spitzenschützen zeichnen sich generell durch eine hohe geistige Leistungsfähigkeit aus. Das betrifft nicht nur die Konzentration, sondern auch weitere wichtige Persönlichkeits- und Leistungsbereiche. Das Sportschießen bietet darüber hinaus die Möglichkeit, völlig unverkrampft und ohne jegliche Vorbehalte psychologische Techniken (spezielle Atemübungen, mentale Trainingsformen, Umgang mit Selbstinstruktionen) zu erlernen, die die Handlungsfähigkeit des Jugendlichen erheblich erweitern und sich als nützlich auch für die berufliche Entwicklung erweisen. In diesem Sinne werden "Lebenspraktiken" und Bewältigungsstrategien für kritische Situationen (Bewährungssituationen) über das Sportschießen vermittelt.

Dr. Hannes Kratzer
(Sächsische Schützenzeitung 1/93)